„Nehmt euer Herz in beide Hände und macht was draus“

Schon wieder ist ein ganzes Schuljahr rum. Für manche war es das erste hier am Goethe, für manche das letzte und für alle anderen irgendwas dazwischen. Doch wir verabschieden uns nicht nur von vielen Schülerinnen und Schülern, sondern auch von zwei Lehrern, die vielen von uns in guter Erinnerung bleiben werden.

Nach vielen Jahren voller Engagement verlassen uns nun auch Herr Schiel und Herr Stötzer und gehen in den Ruhestand. Doch vorher haben wir ihnen noch ein paar Fragen gestellt.

Seit wann sind Sie am Goethe

Herr Stötzer
Seit Februar 2003

Herr Schiel
2007 habe ich hier angefangen

Warum sind Sie Lehrer geworden?

Herr Stötzer
Oh, das ist eine schwierige Frage… Ich wusste nach dem Abi gar nicht so richtig, was ich machen wollte, aber ich wollte was mit Musik machen, ich wollte gerne Lehrer werden. Vielleicht lag das an meiner Musiklehrerin, ich habe keine Ahnung.
Ich habe immer gerne Musik gemacht […], war aber auf dem Klavier einfach noch nicht gut genug, um an eine Musikhochschule gehen zu können. Ich musste dann ja erst mal zur Bundeswehr und in der Zeit habe ich mich dann auch besonnen so zu sagen. Da hat man so ein bisschen Zeit, mal zu überlegen, was will man eigentlich machen. Und meine Eltern haben mich dabei unterstützt, dass ich nochmal richtig Klavierunterricht bekommen habe, und da hatte ich einen sehr guten Lehrer, der mich in vielen Bereichen vorbereitet hat. Auf meine Aufnahmeprüfung, die habe ich dann auch geschafft.

Herr Schiel
Weil ich jung und naiv war.

Und weil ich dachte, das ist ein Beruf, bei dem ich Jungs und Mädels was fürs Leben mitgeben kann. Und zwar nicht nur fachlich – das auch, klar – aber auch als Menschen, dass sie sich vielleicht an eine schöne Schulzeit erinnern, dass sie vielleicht neben dem fachlichen auch ein bisschen was fürs Leben mitbekommen haben. Das war mein Ansatz.

Man muss ja bedenken, das habe ich in der DDR beschlossen.

Das war noch so 1986.

Haben Sie es jemals bereut, Lehrer zu werden?

Herr Stötzer
Nein, nie. Niemals.
Es ist ein sehr schöner Beruf, es macht sehr viel Spaß, mit verschiedensten jungen Leuten zu arbeiten. Man hat ja auch mal durchaus schwierige Schüler, aber auch die können ja nichts dafür, dass sie schwierig sind. Und dann ist es manchmal anstrengend, aber das ist eine schöne Anstrengung. […] man versucht, was für die jungen Menschen zu tun, auch für deren Zukunft.

Und ich finde es einfach […] sehr erfüllend, mit jungen Menschen zusammenzuarbeiten.

Bereut habe ich das nie.

Nicht eine Sekunde, ich würde es jedes Mal wieder machen.

Herr Schiel
Never ever. Das ist für mich der schönste Beruf, den ich mir hab denken können.
Ich habe vorher noch zwei andere Berufe gehabt – Lehrer hat sich anders realisiert, als ich mir das vorgestellt habe, aber überhaupt nicht schlecht, sondern viel schöner und erfüllender. (Anmerkung d. Redaktion: Herr Schiel war vorher Walzwerker und Straßenbahnfahrer in Leipzig)

Man kann sich einbilden, tatsächlich irgendwas Sinnvolles zu tun. Es gibt so viele Berufe, bei denen man irgendwann fragt: „Oh, was mache ich eigentlich, womit bring ich meine Lebenszeit rum?“

Beim Lehrer kann man sich immer einbilden: „Ich habe die Chance, den jungen Leuten irgendwas Sinnvolles fürs Leben mitzugeben.“

Das finde ich so grandios an dem Beruf. Das haben nicht viele Berufe […], deswegen habe ich das wirklich nicht eine Sekunde bereut – maximal während des Korrigierens manchmal.

Sind Sie froh, dass Sie jetzt in den Ruhestand gehen können, oder würden Sie gerne noch länger hier arbeiten?

Herr Stötzer
Nein, ich gehe ja freiwillig […].

Also normalerweise ist ja vorgesehen, dass meine Generation jetzt bis 67 arbeitet.

Und das wollte ich sowieso nicht.

Und ich wollte eigentlich bis 64, aber jetzt haben wir uns das ausgerechnet […], und da habe ich gesagt, ne, ich gehe jetzt, weil ich eben auch noch viele andere Dinge machen möchte mit meinem Leben.

Herr Schiel
Beides.

Ich gehe ja viel, viel zeitiger, als ich eigentlich soll und muss.

Und das aus freien Stücken, weil ich überhaupt nicht am Lehrerberuf verzweifle, sondern weil ich noch viel Lust auf andere Dinge habe.

Und weil ich in den letzten zwei, drei Jahren viele liebe Menschen unerwartet verloren habe und gesehen habe, wie kurz die Zeit manchmal ist, die einem noch bleibt.

Und ich jetzt hoffe, noch vieles machen zu können, worauf ich […] selbstbestimmt Lust habe.

Und vieles machen heißt auch nichts machen. Wenn ich Lust habe auf nichts machen habe, dann mache ich auch nichts.

Waren Sie selber früher ein guter Schüler?

Herr Stötzer
Mittelmäßig.

Also, es gab so Fächer, die haben mir keinerlei Schwierigkeiten bereitet, wie Sprachen und Musik. Kunst, da war ich leider nicht gut, da habe ich so viel Unsinn gemacht. Meine Kunstlehrerin war zu nett, zu lieb.

Mathematik konnte ich nicht so gut. Also die höhere Mathematik, die konnte ich nicht so gut.

Ich habe aber den Fehler gemacht – das erkennt man ja immer später, was man für Fehler gemacht hat – […] mich da nicht richtig reinzuhängen.

Also ich war zu ungeduldig und hatte zu viel anderes im Kopf. Manchmal Flausen – aber auch Musik.

Herr Schiel
Natürlich.

Ich habe in Sport eine zwei gehabt, weil alles, was mit Kraft zu tun hatte, war nicht so mein Ding. Schnell ging, Ausdauer ging auch, aber Kraft ging nicht so gut.

Kugelstoßen – so was Komisches. Hochsprung – bäh.

Es gab ein schönes Fach in der DDR, das nannte sich Staatsbürgerkunde. So ein bisschen so etwas wie Politik.

Nein, die Politik-Lehrer werden sich wehren dagegen, aber es war ein bisschen Politik.

Und da ich nicht in der FDJ war und manchmal meine eigene Meinung hatte, hatte ich in Staatsbürgerkunde nur eine zwei.

Das waren die Zweien, ansonsten hatte ich Einsen.

Was war früher Ihr Lieblingsfach?

Herr Stötzer
Ja, Musik natürlich, das habe ich sehr gerne gemacht – allerdings nicht immer.

Also in der Elf zum Beispiel, wo man nochmal so die theoretischen Grundlagen wiederholt hat. Und ich konnte das natürlich alles.

Und das fand ich dann langweilig, habe dann rumgealbert.

Das war auch nicht so nett, obwohl ich eine ganz nette Lehrerin hatte.

Und natürlich Deutsch habe ich immer sehr gerne gemacht, weil ich gerne gelesen habe und mich für vieles – auch für Sprache – interessiert habe.

Englisch habe ich sehr gerne gemacht, Politik hat mich interessiert.

Geschichte kam sehr auf den Lehrer an. Ich hatte immer so eine Lehrerin, die hat nur Daten abgefragt und da musste ich immer alles auswendig lernen.

Das war nicht so mein Ding.

Herr Schiel
Schon eher Mathe, tatsächlich.

Was war besser: Schule früher oder Schule heute?

Herr Stötzer
Das kann ich überhaupt nicht sagen.

Ich glaube nicht, dass das ein großer Unterschied ist.

Also, ich habe die Schulzeit sehr genossen, muss ich sagen.

Nicht unbedingt wegen des Lernens – das fand ich manchmal auch doof – wie Ihr heute auch.

[…] vor allen Dingen die Sozialkontakte, Klassenfahrten, meine Freunde, Freundinnen und was weiß ich alles – das war mir schon wichtig.

Manches hat mir auch richtig Spaß gemacht in der Schule.

Das muss ich sagen, da habe ich mich dann auch richtig reingehängt.

Aber ich kann nicht sagen – ich glaube, Schule ändert sich gar nicht so großartig.

Doch, es hat sich was verändert: Zentralabitur.

Was ich schade finde heute – also wenn ich das mit meiner Zeit vergleiche vor diesem „Pisa-Schock“, den es damals […] gab – wir waren freier im Unterrichten.

Also, ich hatte in Deutsch viel mehr Möglichkeiten, meinen Unterricht selber zu gestalten – in einem gewissen Rahmen.

Heute ist es zu stark verregelt. Das finde ich schade. Das fand ich früher besser.

Und was ich früher auch besser fand, ist, dass man nicht so sehr nur auf die Methodik geachtet hat, sondern auch in Deutsch lange Texte gelesen hat zum Beispiel.

Das kommt heute oft zu kurz.

Aber an sich, von den Schülern her, hat sich nicht viel verändert.

Herr Schiel
Besser kann ich nicht sagen.

Anders ist es viel, es ist sehr anders.

Bei mir kommt ja noch zusätzlich der Vergleich Ost – West hinzu.

Ich finde, früher hatte die Schule für viele Schüler:innen eine zentralere Bedeutung als heute.

Heute habe ich den Eindruck, dass es für viele eher so nebenbei ist.

„Ich muss da hin und sitze da meine Stunden ab.“

Das finde ich extrem schade, weil dadurch der Stellenwert, den Bildung hat – der ist, glaube ich, vielen nicht so ganz klar – was ich mit der Bildung, die ich in der Schule erwerben kann […], anfangen kann und was die mir so persönlich als auch von der beruflichen Perspektive her ermöglicht.

Das verstehen, glaube ich, viele nicht ganz, oder denken da nicht darüber nach und verpassen so viele Gelegenheiten, das macht mich manchmal traurig bis wütend.

Welche positive Erfahrung ist Ihnen aus Ihrer Zeit als Lehrer besonders in Erinnerung geblieben?

Herr Stötzer
Auf jeden Fall die Musical-Aktionen, die wir gemacht haben.

Die Zusammenarbeit mit Frau Gonschior insbesondere, mit der habe ich ja von Anfang an zusammengearbeitet, weil das immer klasse geklappt hat, weil sie ein ganz anderer Typ ist als ich.

Ich bin sehr impulsiv und […] ticke dann auch manchmal aus oder rege mich auf oder so und Frau Gonschior ist jemand, der immer die Ruhe hat und […] das hat immer sehr gut geklappt, diese Zusammenarbeit.

Was mir auch positiv in Erinnerung geblieben ist, sind einfach die Schüler.

Die Arbeit mit Schülern, mit diesen vielen jungen Leuten, alles Individuen, häufig auch sehr nett – also meistens, fast immer sehr nett, sehr lustig.

Das Arbeiten mit Schülern und vor allen Dingen jetzt natürlich die Musical-Sache.

Die sind mir sehr im Gedächtnis geblieben.

Herr Schiel
Kann ich einzelne Ereignisse gar nicht sagen, aber ich habe es mehrfach erlebt, dass Schüler, mit denen ich dann eventuell mal ein bisschen intensiver in Kontakt war, genau das, was ich gerade gesagt habe, verstanden haben […] und sich hingesetzt haben und was gemacht haben und dann was erreicht haben.

Das ist mehrfach passiert und das finde ich eigentlich mit am tollsten.

Welche negative Erfahrung ist Ihnen aus Ihrer Zeit als Lehrer besonders in Erinnerung geblieben?

Herr Stötzer
Negativ ist eigentlich, dass vieles mir zu verregelt ist in der Schule.

Das spürt Ihr Schüler ja auch.

Was außerdem mir negativ in Erinnerung geblieben ist, ist das Notengeben.

[…] Bewerten, das tue ich nicht gerne.

Am liebsten würde ich alles ohne Bewertung machen, aber so ist Schule nicht aufgebaut.

Irgendwie muss man bewerten und Schüler sind auch sehr konditioniert, eine Bewertung zu bekommen.

Das merkt man dann, wenn die Noten gelaufen sind, dann kann man mit vielen Klassen wenig anfangen.

Ist auch verständlich, da mache ich den Schüler überhaupt keinen Vorwurf, das ist systembedingt.

[…] das ist mir ein bisschen negativ in Erinnerung geblieben.

Ansonsten eigentlich nichts Großartiges, was ich jetzt hier sagen müsste.

Herr Schiel
Ich möchte nicht darüber reden.

Was möchten Sie der Schulgemeinschaft noch auf den Weg geben?

Herr Stötzer
Die schönen Seiten des Lebens – die Lebenszeit, die man in der Schule verbringt – sehen.

Sehen wollen, schätzen lernen und die Schulgemeinschaft zusammenhalten, an einem Strang ziehen.

Das geht nicht immer mit Harmonie ab.

Es gibt auch mal Streit, Auseinandersetzungen, unterschiedliche Meinungen. Dass man sich da zusammensetzt, Lehrer, Schüler, Direktionen, Eltern auch mit ins Boot holen und gemeinsam Lösungswege in Konflikten findet.

Und dass diese Schule möglichst so bei allem, was es natürlich auch an Schwierigkeiten gibt, positiv bleibt, wie ich sie erlebt habe.

Herr Schiel
Oh Mist, der Chef wollte die Frage auch schon beantwortet haben.

Es gab im Osten eine Rundfunksendung, die ich gerne gehört habe.

Der Moderator hat sich immer mit dem Spruch verabschiedet: „Nehmt euer Herz in beide Hände und macht was draus.“

Den finde ich sehr schön. Ich würde vielleicht nicht nur das Herz, sondern auch das Hirn mit erwähnen wollen.

Nur mit Herz ist es vielleicht nicht getan. Aber einfach die Chancen, die man hat, ergreifen und nicht einfach links liegen lassen – nicht sein Leben verdaddeln.

Das zweite ist: miteinander kommunizieren, miteinander die Unterschiedlichkeiten gelten lassen und sich nicht verteufeln, sich nicht abschreiben, gegenseitig Grüppchen bilden, sondern die Chance wahrzunehmen.

Schule ist ein bunter Haufen, da sind wirklich viele bunte Vögel da und die Chance zu ergreifen, tatsächlich miteinander mit der ganzen Unterschiedlichkeit, die man hat, was Sinnvolles auf die Beine zu stellen und sich nicht gegenseitig abzuschreiben.

Was machen Sie jetzt mit der ganzen freien Zeit?

Herr Stötzer
Oh, das ist eine gute Frage, die habe ich erwartet. Das werde ich oft gefragt.

Erst mal: man steht nicht mehr unter Druck, das ist schon mal wichtig.

Viel Musik machen. Ich möchte unbedingt wieder mehr Klavier üben.

Ich möchte mehr im Garten arbeiten, ich möchte mehr Sport machen.

Dann auch mich mit netten Leuten mal wieder treffen, was oft zu kurz kommt – mit Freunden und so.

Aber ich würde auch gerne was im sozialen Bereich machen.

[…] was ich so kann, ist ja Musik, klar – aber Deutsch zum Beispiel.

Es gibt hier so viele Menschen in unserem Land – […] ich denke jetzt an die Menschen aus der Ukraine – deren Sprachkenntnisse, deren Deutschkenntnisse zu wenig gefördert werden.

Oder auch Menschen aus Syrien zum Beispiel, da würde ich gerne auch ehrenamtlich, ohne dass ich jetzt Geld dafür kriege, denen auf die Sprünge helfen, also die Sprache versuchen beizubringen.

Oder vielleicht auch mal […] Musik mit Kindern […] machen.

Weil Kinder so offen sind für alles, weil die so gerne was machen.

Also, ich werde schon beschäftigt sein, aber ich muss jetzt erstmal raus sein aus dem Beruf, um da wirklich was konkret angehen zu können.

Aber Klavier üben steht auf jeden Fall auf der Agenda.

Herr Schiel
Nichts tun.

Ich freue mich tatsächlich auf Nichtstun.

Ich freue mich darauf, mich in bestimmte Themen vertieft reinzuarbeiten.

Ich liebe klassische Musik, ich liebe Bach.

Ich habe noch viele Stücke von Bach, in die ich mich reinarbeiten möchte.

Manche davon vielleicht auch singen möchte.

Ich freue mich auf wieder mehr basteln.

Ich habe früher ganz viele Elektronikradios, Fernseher, etc. gebastelt, darauf freue ich mich sehr.

Ich habe vielleicht auch wieder ein bisschen mehr Zeit für Musik.

Ich werde auch mit meiner Liebsten Reisen.

Wir haben ein […] über 35 Jahre altes Wohnmobil.

Wir werden sicher auch die eine oder andere Ecke von Deutschland und der Welt bereisen.

Und am meisten freue ich mich darauf, dass das Ganze so selbstbestimmt passiert.

Dass es keinen Rahmen gibt, dass ich komplett tun und lassen kann, was ich will – im Rahmen meiner Möglichkeiten.

Aber dass es jedenfalls nicht mehr fremdbestimmt ist, sondern dass ich selber bestimmen kann, was ich tun kann mit meiner Zeit.

Darauf freue ich mich am meisten.

Wir bedanken uns bei beiden ausdrücklich für diese tollen Interviews und wünschen ihnen viel Erfolg und Freude auf ihrem weiteren Weg. Danke für die schönen Jahre und einmaligen Erinnerungen, die Sie vielen von uns geschaffen und gegeben haben.

Auch wir von der Schülerzeitung freuen uns jetzt erstmal aufs Nichtstun. Über die Ferien nehmen auch wir uns eine Pause und starten dann im neuen Schuljahr 2024/2025 wieder voll durch. Bis dahin wünschen auch wir euch schöne Ferien.

Habt einen schönen Sommer,
Julian